Geschafft! Nach knapp 6 Stunden Fahrt bin ich am Sonntag endlich zuhause angekommen, die Reisetasche fliegt erstmal in die Ecke. Ich bin müde aber im Kopf kreisen die Gedanken. An Schlaf ist erstmal nicht zu denken. Viele Eindrücke wollen noch verarbeitet werden…aber alles schön der Reihe nach:
Am 13.04. trafen sich 15 Taucher und Ausbilder aus Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig Holstein im Vereinsheim des Sport-Clubs Pinneberg zum diesjährigen Disabled-Diver-Modul 1 (Hallenbad). Das Besondere diesmal war, dass zum ersten Mal überhaupt (als Pilotprojekt) ein Modul außerhalb der heiligen Hallen des DUC Stommeln e.V. durchgeführt wurde. An dieser Stelle muss ich mal etwas abschweifen, damit der geneigte Leser etwas mehr Hintergrundwissen erlangt: Der DUC Stommeln in Pulheim ist sozusagen innerhalb des VDST die Geburtsstätte des Tauchen mit Menschen mit Behinderung. In diesem Begegnungszentrum trafen sich bisher die Menschen mit Beeinträchtigungen und die Tauchlehrer auf Augenhöhe und unter der Schirmherrschaft von Ressortleiter „Tauchen mit Menschen mit Behinderungen“ Bernd Wald (https://www.vdst.de/ueber-uns/ansprechpartner/ressorts/), um ihr Wissen und Können zu ergänzen und zu vertiefen. Zu gegebener Zeit, werde ich an diesen Gedanken nochmals anknüpfen.
Nach einem reichhaltigen Frühstück begann die obligatorische Vorstellungsrunde der Organisatoren und der Teilnehmer, gefolgt von einem groben Ablaufplan. Der anschließende Impulsvortrag zum Thema „Tauchen mit Menschen mit Behinderung“ zeigte den Zuhörern die breite Facette der möglichen Beeinträchtigungen und den sich daraus ergebenen Herausforderungen. Danach referierte Dirk Lehmann, den meisten auch als „Lemmi“ bekannt, kurz über medizinische Grundkenntnisse bzw. den Besonderheiten bei Menschen mit Behinderungen, die beim Tauchen zum Tragen kommen. So, wie angekündigt, hier noch ein paar Gedanken zu den Begegnungszentren: Neben Pulheim in Nordrhein-Westfalen und existiert jetzt auch mit Pinneberg ein neues Begegnungszentrum in Schleswig-Holstein, ein weiteres Zentrum ist in Niedersachsen im Entstehen. Für Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es bereits Interessensbekundungen. Doch zurück zum eigentlichen Geschehen an diesem Tag.
Es folgte die Vorstellungsrunde unserer Probanden (Versuchs-, Testperson). Auf Wunsch eines einzelnen jungen Mannes aus deren Mitte, wurde der Begriff Proband durch das Wort „Opfer“ substituiert. Nur um hier das Missverständnis Nr. 1 aus der Welt zu schaffen: Opfer bedeutet in unserem Fall nicht, dass jemand als hilflos, schwach, beschädigt oder verletzt wahrgenommen wird, sondern als jemand, der seine Freizeit opfert und es uns so ermöglicht, die Besonderheiten beim Tauchen mit Menschen mit Beeinträchtigungen zu begreifen. Wie heißt es doch so schön: Grau ist alle Theorie und als die freiwilligen Opfer über sich und Ihre Handicaps (komplette und inkomplette Querschnittslähmung, Blindheit, Amputation, Schlaganfall, spastische Lähmung) referierten, schienen die meisten Ausbilder langsam zu begreifen: Das hier ist alles außer gewöhnlich.
Nach einem leckeren Mittagessen, hier nochmals ein großes Dankeschön an den Catering-Service, erfolgte eine Praxiseinheit in der Schwimmhalle. Ein weiteres Missverständnis, das Missverständnis Nr. 2 lag darin, dass unsere Opfer trotz ihrer Selbständigkeit deutlich mehr Zeit benötigen und unter Umständen bestimmte Dinge eben anders bewerkstelligen, sei es nun das profane Umkleiden oder einfach die Hilfe, um ins Wasser und auch wieder aus dem Becken heraus zu gelangen. Da es nun die Opfer auf der einen Seite gab, musste es natürlich auch Täter auf der anderen Seite geben. Und die Teilnehmer taten ihr Bestes. Die anfänglichen Berührungsängste (auf beiden Seiten) konnten relativ schnell und unkompliziert minimiert werden und somit hatten wir die Möglichkeit, am lebenden Objekt zu üben und zu lernen. Neben Tauchgängen mit den Menschen mit den bereits erwähnten Handicaps gab es auch praktische und nützliche Erklärungen und Übungen, um ein Schwimmbadtraining in Zukunft besser und eventuell auch sicherer zu gestalten. Dass wir die Schwimmbadzeiten dann doch etwas überzogen haben, lag in erster Linie daran, dass wir, die Opfer und die Täter sehr viel Spaß im Becken hatten. Wir möchten uns hiermit nochmals bei den netten Damen vom Hallenbad Pinneberg für ihre Geduld bedanken.
Zurück im Vereinsheim gab es eine große Diskussion über das Erlebte und Erlernte. Nicht alles hat von Anfang an geklappt aber das Verständnis für die jeweils andere Seite ist jetzt definitiv vorhanden. Das Missverständnis Nr. 3 konnten wir bis zum Abend ausräumen: Die meisten Hindernisse existieren eigentlich nur im Kopf.
Der Tag endete mit einem reichhaltigen Buffet und einem regen Erfahrungsaustausch zwischen Teilnehmern, Probanden und den Organisatoren.
Der Sonntag begann wieder mit einem Frühstück um 8 Uhr. Zur Einstimmung wurden die Erlebnisse und Geschehnisse des Vortages kurz reflektiert. Es folgten Vorträge über spezielle Prothesen zur Ausübung des Wassersports, über bauliche Änderungen oder Anpassungen von Ausrüstungsgegenständen, Versicherungsfragen, den Unterschieden zwischen den DTSA-Ordnungen in Hinsicht auf die DD-Ausbildungsstufen.
Eine kurze Übersicht der verschiedensten Behinderungen und mögliche Hilfen beim Ausüben des Tauchsports war ein weiterer Teil der Präsentationen. Das Thema „Wohlstandsbehinderungen“ mit den Inhalten Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas, Alter, Medikamente sowie Rücken/Gelenke zeigte uns, wohin die Reise gehen wird und wie wir damit umgehen können. Im letzten Teil der Vortragsreihe ging es um die eigentliche Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Vereinen, der Ausbildung von Assistenten und Tauchlehrern sowie den finanziellen und materiellen Fördermöglichkeiten.
Mit dem Ausblick auf das Modul 2 und dem Feedback aller Involvierten endete die Veranstaltung am Nachmittag. Viele der Teilnehmer wollen auf jeden Fall auch beim nächsten Modul Ende Juli dabei sein. – Bericht folgt!
Für mich wird es langsam Zeit die Heimreise anzutreten. Schließlich sind es fast 6 Stunden nach Hause. Ach ja, Missverständnis Nr. 4: Für jeden gab es noch ein Doggy-Pack für die Heimreise. Da waren aber weder Hund noch Hundefutter drin…
Zum Schluss noch ein paar Dinge in eigener Sache.
- Vom Dezember 2013 bis Februar 2014 führte der Tauchsportverband Nordrhein-Westfalen eine Umfrage seiner Mitgliedsverbände unter anderem zum Thema „Angebote für Zielgruppen“ durch. Unter anderem ging man dabei auch der Frage nach, welche Vereine auch Angebote für Menschen mit Behinderung anzubieten. Ich möchte das Ganze nicht nur auf NRW begrenzen sondern alle Involvierten bundesweit auffordern, uns ihre jeweiligen Angebote und eventuell auch Ihre Erfahrungen bzw. Herausforderungen damit mitzuteilen.
- Weiterhin suchen wir Betroffene, Involvierte und Institutionen, um sich über Hilfsmittel, Equipment und Sonderanfertigungen austauschen zu können.
- Auch wenn man glaubt, dass der Begriff Ressource etwas mit dem Wort Ressort zu tun hat und dort genügend davon vorrätig ist (Missverständnis Nr. 5), benötigen wir zum Ausbau der nächsten Begegnungszentren weitere Unterstützung. Ziel ist, in jedem Bundesland ein Begegnungszentrum etablieren zu können. Für Fragen, konstruktive Ratschläge oder Interesse könnt Ihr euch gern bei Bernd Wald (Kontakt siehe weiter oben) melden.
Autor: Hendrik Lehmann, VDST TL2, VDST TL DD